Dr. Dirk Osmetz: "Mut zum Musterbruch – echte Experimente wagen"

»Viele Menschen glauben, dass sie denken, wenn sie lediglich ihre Vorurteile neu sortieren.« Das soll der US-amerikanische Psychologe und Philosoph William James (1842 – 1910) gesagt haben. Es bringt auf den Punkt, was wir Menschen mit fast allem tun, was wir wahrnehmen: Wir ordnen es in bestehende Muster ein. Dabei fällt uns selten auf, dass wir über das meiste bereits im Vorfeld geurteilt haben, dass die Muster bereits definiert sind.

Ohne Frage handeln Musterbrecherinnen und Musterbrecher hier anders. Sie hinterfragen das Offensichtliche. Interessanterweise verlassen sie nicht das Spielfeld – denn sie sind keine Aussteiger. Aber sie machen dennoch nicht einfach weiter wie bisher. Sie halten sich an die Gesetze und Regeln, interpretieren diese aber hochgradig kreativ. Und sie haben den Mut, diejenigen Fragen zu stellen, bei deren Lösung weder ein Algorithmus noch die Erfahrung eines bereits beschrittenen Weges helfen könnten.

Blicken wir nach Indien, genauer gesagt in das Dorf Janwaar in Madhya Pradesh. 

Doch warum in dieses 1.000 Einwohner Dorf, eines von ca. 700.000 ländlich geprägten Dörfern in Indien? Die Menschen leben in Lehmhütten, haben weder fließendes Wasser und Elektrizität noch ein funktionierendes Abwassersystem. Es herrscht neben einer großen Armut Perspektivlosigkeit und Frauen werden von ihren oft alkoholisierten Männern nur als Arbeitskraft angesehen. Ulrike Reinhard, eine Heidelbergerin, kam 2013 auf einer Rundtour mit ihrem Motorrad eben in dieses Dorf. Ein Geschäftsmann aus einer etwas größeren Stadt in der Nähe hatte ihr in Janwaar ein Stück Land angeboten. Sie sollte etwas für das Dorf damit verändern. Ulrike überlegte nicht lange. Nach einigem Überlegen baute Sie mit Hilfe von Spendengeldern den größten Skatepark Indiens. Und schon stellt sich die erste Frage: Warum ausgerechnet einen Skatepark? 

»Mein Leben und mein Hauptinteresse sind geprägt von Vernetzung. Ich bin schon in 120 Ländern gewesen, habe für diverse Firmen und Regierungen in der ganzen Welt gearbeitet. Skateboarding ist auf der ganzen Welt mit einer sehr starken eigenen Kultur verbunden. Die Abgrenzung vom ›Normalen‹, der Drang nach Freiheit und Selbstverwirklichung sind Charakteristika, die die Skateboarding-Kultur beschreiben und sie zu einer Art ›Gegenkultur‹ zum Establishment stilisieren. Es war ein soziales Experiment, von dem wir nicht wussten, was dabei herauskommen wird. Wir wussten aber genau, dass sich etwas verändern würde«, sagt Reinhard. »Und das in einer Region, in der Mädchen teilweise noch verschwinden, weil die Eltern kein Geld haben, die Mitgift zu zahlen. In der die Menschen im Durchschnitt von einem Dollar am Tag leben. Wo das Kastensystem dir vorgibt, wie du dich deinem Schicksal zu ergeben hast. Hier hat sich durch Skaten wahnsinnig viel verändert.« 

Heute gibt es erstaunlich wenig Organisation, nicht einmal einen Zaun, der das Gelände vor unerbetenem Zutritt bewahrt. Eine Abgrenzung wollte Ulrike Reinhard nämlich nicht. Dafür hat sie zwei glasklare und knallharte Regeln formuliert. Wir nennen das »harte Pole«.

Der erste harte Pol: »No school, no skateboarding!« Wer morgens nicht in der Schule war, bekommt keines der gesponserten Skateboards und darf am Nachmittag nicht skaten. Dieses schlichte Regelwerk hat umgehend Wirkung gezeigt: Die Schule des Dorfes war sofort voll besetzt, da 30 Prozent mehr Kinder zum Unterricht wollten. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnten die Schülerinnen und Schüler mit Schule etwas erreichen. Bisher war es egal, ob man in die Schule ging oder nicht. Man konnte dem tristen Dorfleben nicht entkommen. Der zweite harte Pol ist noch radikaler: »Girls first!« Wann immer ein Mädchen skaten will und gerade kein Brett hat, muss ihr jeder Junge, den sie darum bittet, sein Board überlassen. Die Mädchen gewannen dadurch Selbstbewusstsein. Heute haben sie einen anderen Stellenwert, nicht nur unter den Kindern. Nach zehn Jahren Skatepark gibt es heute unverheiratete junge Frauen mit akademischen Berufen in Janwaar. Etwas das davor undenkbar gewesen wäre.

Der Skatepark hat vieles bewirkt: Es wurden neue Lehrer in der staatlichen Schule angestellt, ein Fahrradverleih ist entstanden, ein Trinkwasserprojekt wurde gestartet, für die mehrheitlich ausländischen Besucher der Skateparks wurden in den Häusern der Bewohner Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen, die das jährliche Einkommen der Familien verdoppeln. Eine ganze Reihe von Kindern genießt – finanziert durch Spenden – neue Lernmöglichkeiten in Schulen in Delhi und Satna. Und vor allem, die Zahl der Zwangsverheiratungen ist auf nahezu Null gesunken.

Mit Janwaar Castle wurde ein Rahmen definiert, in dem etwas organisch wachsen konnte. Dadurch unterscheidet sich dieses Experiment sowohl von klassischen Entwicklungshilfeprogrammen als auch von der Idee eines ausgelagerten Innovationslabors. »Es geht darum, etwas in das Netzwerk hineinzustecken – und sich überraschen zu lassen, was dann passiert. Mit der Einrichtung des Skateparks haben wir etwas ausprobiert, von dem wir glaubten, dass es für Kinder attraktiv ist und das Potenzial hat, etwas zu bewegen«, so Ulrike Reinhard.

Wir sind davon überzeugt, dass immer dann, wenn es um die sogenannten »weichen« Themen geht, ein Experiment einem klassischen Projekt, mit Meilensteinplanungen und definiertem Projektziel, überlegen ist. 

In der Managementausbildung wird zwar längst das Ende der stabilen und eindeutigen Welt betont und Innovationskraft sowie Mut zur Veränderung werden mehr und mehr gefordert, aber das tägliche Handeln in Organisationen steht jedoch meist in starkem Gegensatz dazu. Technokratisch geschult, wird versucht, mit einer kausalen Logik, nach immer neue Wege zur Bewahrung des Bestehenden zu finden. Trotz agiler Methoden und New-Work-Ansätze schlägt der längst überwunden geglaubte Berechnungs-, Mess-, Evaluations- und Kontrollwahn nicht nur weiterhin mit voller Wucht in der Wirtschaft zu, sondern inzwischen auch im Gesundheits- und Pflegesektor, in Kindergärten und Schulen. Denn häufig findet eine unreflektierte Übertragung von Managementmoden auf alle Unternehmenskontexte und gesellschaftliche Bereiche statt, und die Logik des »Mehr desselben« führt manchmal zu einer Perfektionierung des Falschen.

Die klassischen Managementmuster werden in Universitäten, Business Schools und im Rahmen von Weiterbildungen (an)trainiert und muten in ihrer bestehenden Logik seltsam stabil an. Manchmal scheint es, dass sie in ihrem Kern umso unverrückbarer sind, je mehr die oberflächliche Veränderungs- und Innovationsrhetorik um sich greift. Doch die bekannten Muster greifen nicht mehr.

Letztlich werden die Muster, in denen man gefangen ist, einfach nicht (mehr) wahrgenommen – so unsinnig sie aus einer gewissen Distanz auch erscheinen mögen. Und genau diese Muster basieren wiederum auf Prämissen, deren kritische Reflexion dringend notwendig ist.

Was für wirkliche Zukunftsfähigkeit benötigt wird, ist die Arbeit an neuen Mustern – am System – nach dem Vorbild des Skateparks in Janwaar. Der Erfolg des Neuen ist meist weniger abhängig von technischen als vielmehr von sozialen Prozessen. Das Verlernen alter Muster meist wichtiger als das Erlernen neuer. Es ist eben nicht intelligent, auf wiederkehrende Diagnosen des Scheiterns mit einer Dosiserhöhung des unwirksamen Medikaments zu reagieren.

Nicht nur bei der Rekonstruktion unserer Erlebnisse mit über 80 Musterbrechern aus 25 Jahren Forschung, sondern auch im Rahmen der beratenden Begleitung verschiedenster Organisationen und nach mehr als 2.000 Interviews haben wir erkannt, dass Experimente im Führungs- und Organisationskontext ein mächtiges Mittel sind, um Zukunftsfähigkeit zu ermöglichen. 

Für uns beginnen Experimente mit folgenden Überlegungen: Was bringt uns zum Zweifeln? Was wollte ich schon immer mal verändern? Was folgt daraus für die Arbeit im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Eigenverantwortung? Was können und müssen wir schlicht weglassen, um Menschen nicht zu entmündigen? Welche Erwartungen werden an die Rolle einer Führungskraft gestellt? Wie sehr dominiert noch das Bild von den umfassend informierten Entscheiderinnen und Entscheidern? Wie sähe ein anderes Führungsverständnis aus – und wie ließe es sich »testen«? Wir alle haben, bezogen auf unser Arbeitsumfeld, eine sehr starke Vorstellung davon, wie dieses auszusehen hat. Stets glauben wir zu wissen, wie Führung, wie Organisation und wie Projekte funktionieren sollten. Aber solange wir nicht damit anfangen, diese Muster auf die Probe zu stellen, werden wir nie etwas besser machen.

Führungsexperimente unterscheiden sich vom bekannten Projekt- und Prozessdenken. Sie haben im Gegensatz zur bekannten Logik einen offenen, manchmal überraschenden Ausgang. Doch genau durch die dazugehörige Haltung der Offenheit wird Innovation erst möglich. Es werden Energien freigesetzt, die Organisationen zukunftsfähiger machen.


KI in der Schule

Mit den steten Weiterentwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz und dem Auftreten von immer mehr KI-basierten Anwendungen auch für den schulischen Bereich treten in diesem Zusammenhang zunehmend Fragen hinsichtlich der ordnungsgemäßen Verwendung dieser Tools in der Schule auf.

KI-Anwendungen verarbeiten die Daten im Vergleich zu herkömmlichen digitalen Tools zum Teil auf neuartige Art und Weise. Aus diesem Grund müssen weitere Aspekte hinsichtlich des Einsatzes beachtet werden:

  • Die für den Umgang mit Daten geltenden Vorschriften zum Datenschutz und auch aus der KI-Verordnung der EU müssen berücksichtigt werden. Diesbezüglich muss vor allem auf die Eingabe personenbezogener Daten vor allem beim sogenannten Prompting verzichtet werden. Schüler/innen müssen beim Arbeiten mit einem Chat-Bot zwingend darauf hingewiesen werden, keine sensiblen Aspekte, wie Name, Geburtsdatum, Wohnort, etc. dort einzugeben.
  • Zudem sollte es vermieden werden, bei der Registrierung für KI-Tools personenbezogene Daten zu verwenden. Dies gelingt dann, wenn eine Registrierung nicht notwendig ist oder bei diesem Prozess keine personenbezogenen IP- bzw. Mailadressen erfasst werden. Funktionspostfachs-Mail-Adressen (info@...) sind hier zu bevorzugen.
  • Schüler/innen und Lehrkräfte müssen die Funktionsweise der verwendeten künstlichen Intelligenz kennen und sind in diesem Kontext zu einer verantwortungsvollen Nutzung anzuhalten.
  • Weiter sind die Nutzungsbedingungen für die herangezogene KI-Anwendung adressatengerecht zu formulieren. Vor allem bei jüngeren Schülern muss hier besondere Rücksicht genommen werden.

Für Dienststellen und Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung gibt es bereits Leitfäden für den Einsatz von künstlicher Intelligenz vom Finanz- und Heimatministerium. Die vollständige Darstellung würde den Rahmen hier sprengen, Sie können die Vollversion auf der Webseite des BLLV Oberbayern abrufen.

Die drei wichtigsten Aspekte daraus sind ergänzend zu den oben vorgestellten Punkten im Folgenden dargestellt:

  1. Für den Dienst also auch für die Unterrichtsvorbereitung und den Unterricht sind ausschließlich dienstlich bereitgestellte Anwendungen zu verwenden, auch wenn diese im Internet frei zugänglich wären. Diese Freigabe fällt den Schulleitungen zu und sollte in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten und dem Berater digitale Bildung des Landkreises erfolgen. Über Bayern Cloud Schule findet man unter VIDIS bereits einige Angebote, diese sind auf bestimmte rechtliche und technische Aspekte hin geprüft, ersetzen den Vorort-Prüfprozess allerdings nicht.
  2. Von KI-Tools generierte Inhalte müssen immer von dem dafür Verantwortlichen geprüft werden, da entsprechende Informationen frei erfunden oder falsch verknüpft sein können. Die Prüfung muss vor allem auf die Verletzung von Urheberrechten und Verstöße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen erfolgen.
  3. Sollten versehentlich doch personenbezogene Daten über einen Prompt oder beim Hochladen einer Datei in eine bereitgestellte KI-Anwendung gelangt sein, ist umgehend der Datenschutzbeauftragte des Landkreises zur Beratung weiterer Schritte hinzuzuziehen.

KI-Anwendungen können positive Auswirkungen auf Bildungsprozesse mit sich bringen, sind allerdings v.a. hinsichtlich des Datenschutzes vorsichtig und sensibel einzusetzen. Um am Puls der Zeit zu bleiben und den Kindern und Jugendlichen an unseren Schulen den sinnvollen und richtigen Umgang mit diesen neuen digitalen Anwendungen beizubringen, dürfen wir es allerdings nicht versäumen diese Entwicklung von schulischer Seite zu begleiten. Bei Fragen stehen Ihnen auch die Experten des BLLV zur Seite.

Marion Ostermeier

Quellen:
Bayerische Staatsregierung der Finanzen und für Heimat (2024): Künstliche Intelligenz - Leitfaden für Beschäftigte

AK Bildung in der digitalen Welt – Allgemeinbildung in: mebis -Landesmedienzentrum Bayern (2023). KI/Künstliche Intelligenz ein Thema für die Schule. Verfügbar unter: https://mebis.bycs.de/beitrag/ki-thema-fuer-schule (zuletzt aufgerufen am 14.11.2024)